Evgeny Morozov: Keine Frage des Internets

Silicon Valleys Verkaufsargumente – Freiheit, Einfluss, Spaß – haben sich erledigt. Wie aber kam es überhaupt zu diesen Verkaufsargumenten? Warum sprechen wir über "das Internet", als sei es ein separater Raum mit eigenen Gesetzen, Regeln und moralischen Geboten?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir den Netzdiskurs im umfassenderen Diskurs der Moderne verorten. Warum dominieren im Internet Konsum und Überwachung? Weil das, was wir "das Internet" nennen, nur eine kleine – wenngleich wachsende – Teilmenge aller anderen modernen Interaktionen ist, die sich durch eine Eigenschaft auszeichnen. Sie alle werden nämlich durch dasselbe technische Protokoll ermöglicht: TCP/IP. Warum also dominieren im Internet Konsum und Überwachung? Nun ja – weil in der Moderne selbst Konsum und Überwachung dominieren.

Diese einfache Antwort ist schwer zu sehen, weil "das Internet" so sehr Mythos ist wie technisches Protokoll. Denken wir an eine beliebige vergleichbare Infrastruktur, Straßen zum Beispiel. Straßen erfüllen banale Funktionen, vom Handel bis zur Verteidigung. Wir kämen nicht auf den Gedanken, zu fragen: Warum werden nicht mehr Straßen dazu verwendet, Menschen an die Kultur heranzuführen oder öffentliche Debatten anzustoßen? Bei Straßen wissen wir, warum das so ist: Dergleichen ist Sache von Institutionen, nicht von Infrastrukturen. Wenn wir nicht in die Kultur investieren, dann aufgrund von Austeritätspolitik, Neoliberalismus und so weiter – und nicht, weil die "Straßen" ihr emanzipatorisches Potenzial eingebüßt haben.

So sprechen wir aber nicht über "das Internet". Dies liegt nicht zuletzt daran, dass wir merkwürdige Verheißungen und eine grenzenlose Macht darauf projiziert haben. Warum das so ist, ist eine viel interessantere Frage als die, was mit dem Netz geschieht. Was mit ihm geschehen wird, hängt davon ab, wie es mit der Moderne selbst weitergeht. Internetexperten nach ihrer Meinung zu solchen Themen zu fragen ist so, als würde man Straßenexperten dazu befragen, wie man Investitionen in die Kultur anregen könne: Das ist sinnlos.

Evgeny Morozov ist Weißrusse und gilt als einer der profiliertesten Netzkritiker. Anfang Oktober erscheint sein neues Buch "Smarte neue Welt":

Jaron Lanier: Information kostet

Ein Teil des Problems ist die falsche Vorstellung von "kostenlosen" Informationen. Einer der wichtigsten Hebel, mit dem traditionell die Staatsmacht in Schranken gehalten wurde, ist das Budgetrecht. Wenn Informationen "frei" im Sinne von "kostenlos" sind, entfällt jeder Faktor, der den Staat mäßigen könnte. Gesetze sind immer "auslegbar", vor allem im Verborgenen. Geld aber ist wörtlich zu nehmen. Bürger, die sich daran gewöhnt haben, ihre Privatsphäre gegen die irreführende Illusion der Kostenlosigkeit einzutauschen, sollten sich nicht wundern. Die Lösung des Problems: Monetarisiert die Informationen von Otto Normalverbraucher.

Jaron Lanier ist ein US-Informatiker, Künstler und -Autor. Sein neuestes Buch "Who Owns the Future?" ist gerade erschienen.

Anke Domscheit-Berg: Gegen die Monopole

An das Internet knüpft sich eine Vielfalt von Hoffnungen: die Überwindung der Distanz zwischen Menschen, ein radikal einfacherer und in der Anlage grenzenloser Zugang aller zu Wissen und Kultur. Wir fangen gerade erst an, zu ahnen, welche ungeheuren Potenziale die digitale Gesellschaft noch mit sich bringt. Die Giganten, die der junge Weltmarkt Internet hat entstehen lassen, haben ihren Teil dazu beigetragen, uns Netzwerke, neue Ausdrucksformen und Zugang zum intellektuellen Erbe aller zu ermöglichen.

YouTube mag ein Monopolunternehmen sein, aber dass mehr als eine halbe Million Menschen in einer Woche das Video Was ist ein Überwachungsstaat angeschaut hat, ist einfach großartig. Dennoch ist es problematisch, dass so viele der Dienste, die von Millionen Menschen gern und häufig genutzt werden, Monopole sind, die zusätzlich ihre Server in den USA stehen haben und damit dem Patriot Act und teils geheimen Rechtsauslegungen unterliegen, denn das revolutionäre Potenzial des Internets basiert auf seiner dezentralen Struktur. Monopole sind aber das Gegenteil von dezentral. Sie entsprechen Monokulturen, und wie in der Landwirtschaft sind sie ein Risiko. Kurzfristig lösen sie ein Problem, langfristig gefährden sie den Fortbestand ganzer Systeme. Dass sich Geheimdienste unsere Kommunikationsdaten durch Zugriff auf die Kundendaten von Großunternehmen verschaffen, ist die Heuschreckenplage unserer Zeit und bestandsgefährdend für die Demokratie. Sie zeigt die Verwundbarkeit zentraler Strukturen in einem von Dezentralität abhängigen System.

Ist das Internet kaputt? Ich würde sagen, noch nicht ganz. Aber wir stehen jetzt an einem Scheideweg, und es hängt von uns allen ab, welche Richtung wir einschlagen. Wir können uns mehrheitlich weiter blind und taub stellen und uns dann in einer Welt wiederfinden, in der wir versuchen, unseren Kindern zu erklären, was ein freies Internet einmal bedeutete und wie mit seinem Ende auch viele andere Freiheiten für immer verschwanden. Wir können uns aber auch machtvoll erheben und das Internet – so wie wir es kannten – mit Zähnen und Klauen zurückerobern. Wir können Alternativen entwickeln und nutzen, die vielfältig sind und nicht von Monopolisten betrieben werden. Wir können darauf bestehen, dass unsere Grundrechte auch in einer digitalen Welt gelten. Und wir können Politiker abwählen, die das alles nicht verstehen.

Anke Domscheit-Berg ist Netzaktivistin und Spitzenkandidatin der brandenburgischen Piratenpartei für die Bundestagswahl.