Donnerstag, 28. März 2024

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Böhmermann und Varoufakis' Stinkefinger
"Satire darf das"

Ist Jan Böhmermann mit "Varoufake" zu weit gegangen? Nein, sagt Frauke Gerlach, Direktorin des Grimme-Instituts, im DLF. Gute Satire sei nicht immer wirklich als solche erkennbar. Und nach diesem Fall seien nun vor allem die Medien gefragt.

Frauke Gerlach im Gespräch mit Sandra Schulz | 20.03.2015
    Frauke Gerlach, die Direktorin des Grimme-Instituts, in beiger Kleidung mit beiger Brille vor beigem Hintergrund.
    Frauke Gerlach, Direktorin des Grimme-Instituts (Imago / Horst Galuschka)
    Böhmermann und sein Team hätten mit ihrer Satire gezeigt, "welche Möglichkeiten der Desinformation und Manipulation es inzwischen gibt" und damit auch Günther Jauch und seiner Sendung einen "gewissen Spiegel vorgehalten", so Gerlach. Sorgfalt der Recherche, Authentizität und Überprüfbarkeit seien wichtige Kriterien für das Vertrauen in die Medien bei Nutzern.
    Fatal wäre es, wenn die Menschen nun nichts mehr glaubten. Böhmermann habe mit seiner Satire auch gezeigt, "was Qualitätsjournalismus soll". Er habe "handwerklich sehr gut, mit hoher Intuition und sehr präzise agiert". Gute Satire sei nicht immer wirklich erkennbar, so die Direktorin des Grimme-Instituts. "Und vielleicht macht sie das aus."

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Von einem „Fake, Fake - Fake, Fake, Fake" spricht der Satiriker Jan Böhmermann. Tatsächlich wussten viele gestern über Stunden gar nicht mehr, was jetzt stimmt und was nicht. Erst berichteten Nachrichtenagenturen und Online-Medien, die Redaktion Böhmermanns habe die Bilder manipuliert, war aber, wie bei einem Satiriker durchaus zu erwarten, Satire. Damit ist die Diskussion um Finanzminister Varoufakis, seinen Auftritt im Jahr 2013 und seinen ausgestreckten Mittelfinger und die Talkrunde bei Günther Jauch um eine weitere Fassette reicher.
    Am Telefon ist jetzt Frauke Gerlach, die Direktorin des Grimme-Instituts. Guten Morgen.
    Frauke Gerlach: Guten Morgen!
    Schulz: Was hat Jan Böhmermann mit seiner Satire gezeigt?
    Gerlach: Na ja, zuvorderst - und das wurde ja gerade in Ihrem sehr anschaulichen Bericht über diese Situation, die ja gestern sehr verworren schien, gestern Vormittag, sehr deutlich gemacht -, welche Möglichkeiten der Desinformation es im Netz gibt, welche Manipulationsmöglichkeiten, auch in welcher Perfektion, weil es ist ja möglich. Ich meine, das Wort "Netzforensiker" zeigt uns ja schon, was mittlerweile bei den Medien auch geprüft wird, bevor es dann gesendet wird. Er hat gezeigt, was möglich ist, aber darüber hinaus hat er noch - und darauf deuten Sie ja auch hin - natürlich Günther Jauch und der Sendung einen gewissen Spiegel vorgehalten.
    Schulz: War das jetzt noch eine Neuigkeit, dass Bilder, bewegte Bilder auch ohne jede Grenze manipulierbar sind? Hat er das gezeigt?
    Gerlach: Es ist nicht neu. Eigentlich wissen wir das, was möglich ist im Netz. Alle diejenigen, die mit Photoshop unterwegs sind, wissen, was man vielleicht ein bisschen machen kann. In welcher Professionalität wir das machen können, ahnen wir auch. Gut und richtig ist aber auch an dieser Situation, das wirklich noch mal vorgeführt zu bekommen und noch mal deutlich gemacht zu bekommen. Es ist nicht neu, aber es zeigt eigentlich, dass wir oder viele daran wieder ansetzen und es am Ende auch glauben.
    Schulz: heißt das, dass es vorher sozusagen ein theoretisches Wissen gab, ja, ja, im Grunde geht alles, und dass das jetzt ein praktisches Wissen geworden ist?
    Gerlach: Ja, ich denke, das ist schon der Fall, wie es ja häufig auch so ist. Wir wissen ja viele Dinge und erst mit der Erfahrung oder immer wiederholten Erfahrung werden wir noch stärker sensibilisiert für Problematiken. Insofern schult es auch und macht, wie gesagt, sehr anschaulich, wie Manipulation möglich ist.
    "Fehler dokumentieren und kommunizieren"
    Schulz: Über Stunden haben offenbar viele auch geglaubt, dass dieser Film manipuliert worden sei. Wird das jetzt die Vorsicht und die Sensibilität von Redaktionen noch einmal schärfen?
    Gerlach: Ja das würde ich mir wünschen, weil ich glaube, um Vertrauen in den Medien bei Nutzerinnen und Nutzern zu haben und dauerhaft zu haben, ist die Sorgfalt der Recherche und tatsächlich die Authentizität der richtige Kontext und die Überprüfbarkeit, das sind die wichtigen Kriterien, um Vertrauen zu haben und auch perspektivisch zu erhalten. Und dann, wenn ein Fehler passiert, auch zu dokumentieren oder darüber zu kommunizieren, dass ein Fehler passiert ist. Nur so wird das Vertrauen, das Nutzerinnen und Nutzer in die Qualitätsmedien haben, auch aufrecht erhalten bleiben können.
    Schulz: Darauf wollte ich gerade kommen. Viele Zuschauer werden sich jetzt vielleicht noch mal neu fragen, wem oder was sie überhaupt glauben können. Wie können oder sollen die Redaktionen darauf antworten?
    Gerlach: Im Grunde kann man nur sagen, mit guter Arbeit, mit solchen Beiträgen, wie Sie sie jetzt auch bringen, einfach darüber sprechen, dokumentieren, dass man auch gut arbeitet. Was sicherlich ganz fatal wäre, wenn der umgekehrte Effekt eintreten würde, weil im Hinblick auf die Meinungsbildung brauchen die Bürgerinnen und Bürger ja einen guten Grat, eine gute Fundierung zur Meinungsbildung. Insofern wäre sozusagen der umgekehrte Fall, wir glauben gar nichts mehr, natürlich der ganz fatale.
    Schulz: Ist das jetzt Wasser auf die Mühlen aller, die sagen, die Presse ist eh eine Lügenpresse?
    Gerlach: Auch das hoffe ich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Reflex im Laufe der nächsten Tage noch sehr stark kommen wird. Andererseits muss man sagen, es ist einfach auch eine gute Satire und zeigt natürlich, was möglich ist, was Qualitätspresse auch soll. Ich meine, Böhmermann wendet sich ja auch direkt an Herrn Jauch und das, was im Nachgang der Sendung auch war, was auch bedient wird, wenn man bestimmte Kontexte herstellt, dass die Sender eines Massenmediums, des Fernsehens, öffentlich-rechtliche Sender mit hoher Sorgfalt auch Themen problematisieren müssen, um zu verhindern, dass nationale Reflexe beispielsweise bedient werden.
    "Er ist nicht zu weit gegangen"
    Schulz: Hier bei uns in der Redaktion, da sind die Meinungen gestern durchaus auch auseinandergegangen, ob das jetzt als Satire zu erkennen war oder nicht. Dass offenbar so viele Menschen Jan Böhmermann auf den Leim gegangen sind, zeigt das, dass er zu weit gegangen ist?
    Gerlach: Uns bei Grimme ging es genauso. Wir haben gestern auch miteinander telefoniert und die Drähte liefen auch bei uns heiß – und wir waren uns auch nicht sicher. Uns ist es eigentlich genauso gegangen. Als wir uns dann auch noch mal auf YouTube das angesehen haben, den letzten Beitrag von Herrn Böhmermann, vielleicht kann man es auch erkennen.
    Die Frage ist, ist er zu weit gegangen. Satire darf das. Insofern kann ich nicht sagen, er ist zu weit gegangen. Wenn wir irgendwann wissen, es ist Satire, er entlarvt da natürlich auch ein Stück weit uns. Andererseits muss man auch sagen, dass das handwerklich sehr gut gemacht ist von ihm. Er hat mit hoher Intuition und präzise und natürlich ohne Rücksicht, was Satire auch darf, dann agiert.
    Schulz: Müssen wir festhalten, was ja kein allzu erquicklicher Befund wäre, dass Satire in Deutschland als Satire gekennzeichnet werden muss?
    Gerlach: Ich weiß nicht. Gute Satire ist vielleicht dann auch wirklich nicht immer erkennbar und das macht vielleicht Satire auch aus. Dass gestern das ZDF das auch noch mal in die Debatte gebracht hat und diese Kennzeichnung angedeutet hat, finde ich, können wir, glaube ich, auch selber alle mit einem Schmunzeln betrachten und würde ich jetzt nicht hoch problematisieren, denn wenn sie gut ist, erkennen wir sie nicht zuerst. Das, finde ich, gehört auch mit dazu.
    Schulz: Aber dass Deutschland jetzt in diesem Fall der Satire überfordert war, das würden Sie nicht sagen?
    Gerlach: Vielleicht haben wir Deutsche, aber das ist immer so dieses "wir" und "deutsch". Das sind, finde ich, immer ganz problematische Kategorien, weil es wahrscheinlich viele, die jetzt auch zuhören, gibt, die sagen, Wie konnten die Leute überhaupt glauben, dass es keine Satire war. Insofern: Bei so einem Pauschalurteil, da würde ich mich sehr, sehr zurückhalten.
    Schulz: Frauke Gerlach, die Direktorin des Grimme-Instituts, hier heute in den "Informationen am Morgen". Danke Ihnen!
    Gerlach: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.