Zum Inhalt springen

Medienstaatsvertrag Netzpolitik darf nicht Ländersache werden

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz fordert einen Medienstaatsvertrag, der Netz- und Medienpolitik unter ein Dach bringen soll. Der Grüne Netzpolitiker Malte Spitz kritisiert den Vorschlag: Scholz wolle die politischen Entscheidungen über das Internet regionalisieren.
Von Malte Spitz
Enquete "Internet und digitale Gesellschaft": Netz als Bundes- oder Länderkompetenz?

Enquete "Internet und digitale Gesellschaft": Netz als Bundes- oder Länderkompetenz?

Foto: Rainer Jensen/ picture alliance / dpa

Die Debatte über die Aufkündigung der Netzneutralität durch die Deutsche Telekom zeigt, wie wichtig Gesetze und Regulierung auch in Zeiten des digitalen Wandels bleiben. Wäre die Netzneutralität gesetzlich festgeschrieben, könnte die Telekom nicht so vorpreschen. Umso interessanter der jüngste Vorstoß von Olaf Scholz (SPD), Erster Bürgermeister von Hamburg und damit einer von 16 Ministerpräsidenten, der beschreibt, wie eine solche Regulierung zukünftig organisiert und verantwortet werden sollte.

In seiner Rede  zum Hamburger Mediendialog fordert er eine Neuorganisation der hiesigen Medien- und Netzpolitik. Ziel ist die Zusammenführung beider Bereiche als Länderkompetenz. Scholz sieht in einer Medienkommission der Länder, die die bisherige Rundfunkkommission ersetzen soll, den gesuchten Gral, um Konflikte zu überwinden. Er glaubt, dass in diesem "öffentlichen Forum" die Debatten zu Datenschutz und Urheberrecht zusammengeführt werden können, dass die Kluft zwischen "Content" und "Technology", wie er es beschreibt, überbrückt werden kann. All dies umschreibt Scholz mit dem an sich richtigen, aber von ihm falsch definierten Begriff der Media Governance.

Die Forderung von Olaf Scholz bedeutet, die politische Entscheidung bei medien- und netzpolitischen Fragen in Deutschland komplett zu regionalisieren. Abgesehen von den eindeutigen verfassungsrechtlichen Problemen dieses Vorschlags, ist es geradezu irrsinnig zu glauben, dass das im 21. Jahrhundert mit der enormen Triebkraft, die der digitale Wandel auf Gesellschaft, Wirtschaft und Demokratie global ausübt, sinnvoll ist und funktionieren würde. Es würde vielmehr zu Stillstand führen, denn die Rundfunkkommission der Länder steht als Club der Exekutive sinnbildlich für intransparente Hinterzimmerpolitik, in der vor allem landesbezogene Einzelinteressen durchgeboxt werden und selten der gesellschaftliche Konsens gefunden wird. Siehe die gescheiterte Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages. Es muss einem Angst und Bange werden, sollten in diesem Gremium Fragen wie die Verankerung der Netzneutralität, der Umgang mit der monopolartigen Stellung von global agierenden Internetkonzernen oder die Modernisierung des Datenschutzes federführend behandelt werden.

Die sozialen und demokratischen Dimensionen des digitalen Wandels

Stattdessen muss die politische Debatte in die entgegengesetzte Richtung gehen. Anstatt einer Regionalisierung braucht es durchsetzungsstarke multinationale Strukturen, die unter Einbeziehung von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft eine Governance-Struktur bildet, die den digitalen Wandel gestaltet, Grundrechte schützt und ein offenes, dezentrales und freies Internet wahrt. Die einseitige ökonomische Zielsetzung seiner Medienkommission, wie Scholz sie mit seiner Vorgabe der "Sicherung erfolgreicher Geschäftsmodelle" fordert, verkennt völlig die im digitalen Wandel liegenden Dimensionen sozialer Innovation und demokratischer Erneuerung.

Die derzeitige Regulierung in diesem Bereich zeigt, dass die bestehende föderale Organisation überdacht werden muss. Die Abgrenzung von "Telemedien" und die Übertragung von Rundfunkregulierung auf das Internet funktioniert heute schon nicht, weil sie in vielen Teilen falsch ist und ansonsten nicht durchgesetzt oder angewendet wird. Statt 14 Landesmedienanstalten braucht es eine effektive Aufsichtsstruktur mit einer Medienanstalt der Länder. Statt einer einzelnen Kommission der Exekutive braucht es koordinierende Gremien zwischen Bund und Ländern, die pluralistisch besetzt sind und transparent arbeiten, Expertengremien, die die politischen Entscheidungsprozesse begleiten und internationale Debatten vorbereiten. Und es bedarf eines multinationalen Überbaus, der eine tragfähige Governance Struktur sicherstellt.

Der digitale Wandel schreitet voran, gerade auch, weil Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft ihn gestalten. Diese Akteure außen vor lassen zu wollen, und die Internationalität nicht zu sehen, sind schon Fehlannahmen genug, um der Forderung von Olaf Scholz ablehnend gegenüberzustehen.

Ähnlich wie die Pläne der Deutschen Telekom zum Aufkündigen der Netzneutralität eine Gefahr für den digitalen Wandel und die Internetfreiheit darstellen, ist der Vorstoß von Olaf Scholz eine Gefahr für eine zukunftsfähige Politik, die den digitalen Wandel gestaltet und die Komplexität dieser globalen Aufgabe erkennt. Dem Versuch einer Einverleibung der Netzpolitik als Teil der Medienpolitik muss man sich klar entgegenstellen.