RU:gelenkte, HU:illiberale, DE:verwaltete Demokratie: 

Neuland für die etablierten Parteien

Die Formulierung "Deshalb unterstützt der Bund die Bemühungen der Länder um eine der Medienkonvergenz angemessene Medienordnung." im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD [2] ist mit Bedacht gewählt. Mit dem Staatsfernegebot [7] sind dem Bund für die Aktivitäten im Presse-/ Medienbereich die Hände gebunden. Wenn man im Internet die Suchbegriffe Meinungsmachtkontrolle oder Meinungsmachtkontrolle SPD eingibt, stellt man fest, dass die etablierten Parteien das Thema "Meinungsmachtkontrolle" - und insbesondere  im Zusammenhang mit den sog. Neuen Medien - bereits länger beschäftigt - s. dazu auch den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-ÄndG), 17. 10. 2012 [3]. Den etablierten Parteien ist es ein Dorn im Auge, dass im digitalen Raum bei den aktuellen Spielregeln (und bei fehlenden Kompetenzen bei den Machtstrategen in den etablierten Parteien) der Staat wenig bis gar keine Möglichkeit hat, die Meinungsbildungsprozesse zu steuern. Und das ist auch gut so. Die Etablierten mussten in der letzten Zeit einige empfindliche Klatschen verkraften - das ACTA-Abkommen wurde gekippt genauso wie die Anwendung von Schiedsgerichten im Rahmen des geplanten TTIP-Abkommens [10], zuletzt das Aufkommen von Pegida (ich bin kein Fan von Pegida, es ist nur mein Versuch einer Bestandsaufnahme aus der Sicht von etablierten Parteien). Das sind alles Beispiele, wo die Akteure sich im Neuland "digitaler Raum" organisiert haben, um den Etablierten Paroli zu bieten, und die Etablierten scheinbar keine Instrumente gefunden haben, um die öffentliche Meinung in diesem Raum für eigene Ideen zu gewinnen.

Die Veranstaltung "Fernsehrat" wird zu einer Farce degradiert

Jetzt ist die Große Koalition dabei, den Teil des Koalitionsvertrags zu verwirklichen, in dem es um die Medien geht. Dabei gehen die etablierten Parteien ziemlich clever und m.E. ziemlich perfide vor. Die Wirkung des jüngsten Bundesverfassungsgericht-Urteils zum ZDF-Staatsvertrag [4] verpufft folgenlos und die Veranstaltung "Fernsehrat" wird zu einer Farce degradiert, falls die Politik und die Medienkonzerne die neue Medienordnung [5] nach eigenen Vorstellungen ohne Einbeziehung der Zivilgesellschaft gestalten. Ein Zaubertrick der "neuen Medienordnung"-Macher lautet wie bei TTIP: "Schieds- und Schlichtungsverfahren". Dieser Trick ist nur eine Masche aus dem unerschöpflichen Fundus mit der Aufschrift Verfahrens-Absprachen unterhalb der staatsvertraglichen Ebene. "Meine Prognose geht dahin, dass man bezüglich der im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD explizit benannten Schnittstellen Medienaufsicht, Telekommunikationsrecht und Wettbewerbsrecht in der geplanten Bund-Länder-Kommission in der Mehrzahl der Fälle zu Verfahrens-Absprachen unterhalb der staatsvertraglichen Ebene wird kommen können" [12] , so Axel Wintermeyer, Chef der Hessischen Staatskanzlei, im Interview mit medienpolitik.net. Ich habe mich im Artikel die Zivilgesellschaft, die Vereine müssen draußen bleiben!? [11] etwas ausführlicher dazu geäußert.

"einer sachnahen, staatsfernen Instanz die Entscheidungsbefugnisse [...] übertragen"

Im Konvergenzgutachten auf der Seite 90, [1] ist zu lesen: "Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Gesetzgeber nicht alternativ auch lediglich einen Regulierungsrahmen für die Festlegung dieser Begriffe schaffen kann, der nur Anhaltspunkte dafür gibt, wie die Ausdifferenzierung zu erfolgen hat. Dabei kann er auch – das wäre die zweite Art des Vorgehens – einer sachnahen, staatsfernen Instanz die Entscheidungsbefugnisse in dem Bereich übertragen, die nicht mehr dem Wesentlichkeitsgrundsatz unterliegen. Dies ermöglicht einem sachnahen Entscheider ohne den zeitlichen Aufwand eines Gesetzgebungsverfahrens eine flexible Einordnung auch neuer Angebote unter die entsprechend offen gehaltenen begrifflichen Kategorien."

Man muss sich dies auf der Zunge zergehen lassen - "einer sachnahen, staatsfernen Instanz ... übertragen". Nicht nur der Fernsehrat, auch der Gesetzgeber bliebe außen vor. Aus meiner Sicht spielt es keine Rolle, ob nun dem entsprechenden Schiedsgremium dann ein Etikett eines Schiedsgerichts oder irgendeines pseudowissenschaftlichen Instituts verpasst wird. Es geht nämlich bei dem gesamten Projekt "neue Medienordnung" formell um die Plattform- und Netzneutralität. Und noch geht's formell bei der neuen Medienordnung um die Sicherung der im Grundgesetz, Art. 5 verankerten Meinungs- und Pressefreiheit. Dieser formelle Bezug auf den Art. 5 wird beim Projekt "neue Medienordnung" als Begründung dafür herangezogen, damit der Bund auf diese Weise bei der Medienregulierung mitmischen kann und darf. Entsprechend dem geltenden Recht ist die Medienregulierung nämlich eine Sache der Bundesländer.

Die Zivilgesellschaft, die Vereine müssen draußen bleiben!?

LU€$I-Satire: So verstehe ich die derzeitige Praxis der Rundfunkkommission bei der Vorbereitung des Medienstaatsvertrags [5].

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Die Grundsatzrede des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz beim Senatsempfang anlässlich des medien DialogHH 2014, 03.06.2014 [6] ist m.E. eine zeitsparende Möglichkeit, sich auf 16 Seiten einen Überblick über das Verwaltungsvorhaben bzw. das Geschäftsmodell "neue Medienordnung" - je nach Blickpunkt ;-) - zu verschaffen. Im Konvergenzgutachten [1] findet man viele Thesen, Lösungsansätze, die der Erste Bürgermeister in der Grundsatzrede verlautbart hat.

Was man im Konvergenzgutachten nicht findet, ist die Expertise der Zivilgesellschaft zum Vorhaben "neue Medienordnung". Keine Erwähnung fand die Zivilgesellschaft auch in der o.g. Grundsatzrede. Dies ist unverständlich und alarmierend. Hieb doch die Bundeskanzlerin und die CDU-Vorsitzende beim Ungarn-Besuch am 02.02.2015 den Zeigefinger: "Merkel sagte, auch eine Regierung mit einer sehr breiten Mehrheit müsse die Rolle von Opposition, Zivilgesellschaft und Medien schätzen. Das richtige Modell für Ungarn sei es, wenn Gesellschaften im Wettstreit miteinander den besten Weg fänden", so zeit.de [9]. Und in Deutschland kungeln die Politiker ein Vorhaben aus, das den "Erhalt von Vielfalt und kommunikativer Chancengleichheit in einer konvergierenden Marktsituation" [5] zum Ziel hat. "Es geht darum, wer die Kommunikationsordnung prägt, wer demokratische Diskurse ermöglicht und wer welche ökonomischen Gewinne aus der Infrastruktur unserer Öffentlichkeit generiert" [6], so der Vorsitzende der von der Rundfunkkommission gebildeten AG Medienstaatsvertrag Bürgermeisters Olaf Scholz. Einen Wettstreit mit der Zivilgesellschaft zum Thema "neue Medienordnung" hat die nach wie vor von den politischen Parteien dirigierte Rundfunkkommission konsequent gemieden.

"neue Medienordnung"-Flüchtlinge

LU€$I-Satire: Bei fortschreitender Lektüre des Konvergenzgutachtens gewinne ich zunehmend den Eindruck, dass die Gutachter selbst, die Bundesländer, die Große Koalition, die öffentlich-rechtliche und die private Rundfunkanbieter bei der Vorbereitung der neuen Medienordnung versuchen in eine Filter Bubble zu flüchten.

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In dem von der Rundfunkkomission beauftragten Konvergenzgutachten erwähnen die Gutachter das Phänomen Filter Bubble: "Danach findet im Extremfall eine Auseinandersetzung nur noch mit Inhalten statt, die einen Bezug zu persönlichen Präferenzen aufweisen, sodass der durch Medien beförderte demokratische Prozess unter der Ausblendung nicht präferierter Meinungen leiden kann10. Dies wird unter dem Stichwort „Filter Bubble“ (oder auch „Echo Chamber“; „Ego Loop“) diskutiert." Konvergenzgutachten, S. 19. Wenn ich das bisherige Geschehen um die "neue Medienordnung" betrachte, dann werde ich das Gefühl nicht los, dass die bisherigen "neue Medienordnung"-Macher dabei sind, in eine Filterblase aus den alten Gewohnheiten zu flüchten. Aus diesem fragilen Versteck heraus versuchen die Politiker, die Medienkonzerne, die Funktionäre aus den Landesmedienanstalten die Realität um diese Blase herum mit Hilfe einer ausgeklügelten Medienordnung zu verwalten und zu manipulieren. Die Informationen aus dieser für die "neue Medienordnung"-Flüchtlinge unverständlichen Realität werden von den Flüchtlingen selbst dahingehend selektiert, dass diese Informationen (bspw. die Expertise der Zivilgesellschaft) die Verabschiedung einer dem eigenen Wunschdenken angepassten Medienordnung nicht gefährden. Dazu passt auch, dass die o.g. Akteure bis dato konsequent vermieden haben, eine Expertise der Zivilgesellschaft zum Vorhaben "neue Medienordnung" einzuholen.

Das Feigenblatt "Meinungs- und Pressefreiheit"

Die Demokratie ist langwierig und anstrengend - eine Binsenweisheit für die Vollblutpolitiker wie Angela Merkel oder Olaf Scholz. Dies kann und darf aber keine Rechtfertigung dafür sein, einem derart wichtigen konzeptionellen Diskurs, wo es nicht mehr und nicht weniger als um die Meinungs- und Pressefreiheit geht, aus dem Weg zu gehen, indem man einfach den eigenen Standpunkt zu "einem pragmatischen Ansatz" [6], S. 9 erklärt. Ich würde so eine Haltung mit einer fehlenden Fairness, ggf. Faulheit des Hamburger Ersten Bürgermeisters erklären. Aber angesichts der Tatsache, dass einem Vollblutpolitiker wie Olaf Scholz die Brisanz des Diskurses [6], S. 11 bewusst ist, empfinde ich sein Verhalten als schwach, feige, unverantwortlich und höchstgradig undemokratisch. Wer den Ehrgeiz hat, sich für den Bürgermeister-Posten einer Freien und Hansestadt Hamburg zu bewerben, muss auch die Ausdauer und den Mut haben, langwierige und anstrengende Diskurse auszutragen. Damit die Meinungs- und Pressefreiheit gelebt und verteidigt und nicht als Feigenblatt für undemokratisch ausgekungelte Medienordnung missbraucht wird.



Quellen

[1] Gutachten „Konvergenz und regulatorische Folgen“ - http://www.hans-bredow-institut.de/webfm_send/1049
[2] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD - http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile&v=2#page=134
[3] zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 17/9852 – Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-ÄndG), 17. 10. 2012 - http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/110/1711053.pdf
[4] Bundesverfassungsgericht verurteilt Staatsnähe des ZDF, 25.03.2014 - https://www.piratenpartei.de/2014/03/25/bundesverfassungsgericht-verurteilt-staatsnaehe-des-zdf/
[5] AG Medienstaatsvertrag: Medienvielfalt fördern, 17.10.2014 - http://www.rlp.de/no_cache/einzelansicht/archive/2014/october/article/medienvielfalt-foerdern 
[6] Grundsatzrede des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz beim Senatsempfang anlässlich des medien DialogHH 2014, 03.06.2014 - http://www.hamburg.de/contentblob/4322990/data/2014-06-03-mediendialog.pdf
[7] Staatsferne - https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsferne
[8] eine Initiative für freie Medien - http://medien21.sprechrun.de
[9] Merkel weist Orbán zurecht, 02.02.2015 - www.zeit.de/politik/ausland/2015-02/ungarn-besuch-angela-merkel-orban
[10] Gutachten: Private Schiedsgerichte in TTIP sind grundgesetzwidrig, 20.01.2015 - www.heise.de/tp/artikel/43/43903/1.html
[11] "die Zivilgesellschaft, die Vereine müssen draußen bleiben!?" 03.02.2015 - luesi.sprechrun.de
[12] Digitale Medienordnung: Länder werden auf Kompetenzen nicht verzichten, 27.08.2014 - www.medienpolitik.net/2014/08/medienordnung-keine-rundfunkregulierung-durch-den-bund/


Dieser Artikel wurde lektoriert von R. von Barghorn