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Datenschutz Website entlarvt Lobby-Einfluss in Brüssel

Wenn die EU Gesetze macht, schreiben auch Amazon, Ebay und die US-Handelskammer mit. Die Website Lobbyplag dokumentiert den Einfluss der Industrie: Beim Datenschutz sind europäische Politiker Lobby-Vorlagen gefolgt.
Lobbyplag: Diese Website dokumentiert Lobby-Einfluss auf die Gesetzgebung

Lobbyplag: Diese Website dokumentiert Lobby-Einfluss auf die Gesetzgebung

Hamburg/Brüssel - Wenn die EU sich selbst neue Regeln gibt, ist das ein komplexer und oft schwer durchschaubarer Vorgang. Da gibt es Ausschüsse und Berichterstatter, Bürgerrechtler und natürlich Industrielobbyisten, die an einem langen Text herumzerren, Passagen korrigieren, einfügen, Änderungsvorschläge machen. Die EU-Datenschutzverordnung, die Europas Bürgern mehr Privatsphäre bringen soll, ist ein Paradebeispiel: Seit die EU-Kommission im Januar 2012 einen Vorschlag vorgelegt hat , wie Datenschutz künftig auf europäischer Ebene organisiert werden soll, tobt eine Lobby-Schlacht.

Das hängt auch damit zusammen, dass neue Datenschutzregeln so viele unterschiedliche Interessen betreffen - die von Netzunternehmen wie Facebook, Google und Amazon ebenso wie die von Banken, Werbewirtschaft, Telekommunikations-Unternehmen, Auskunfteien wie der Schufa sowie Branchenverbänden von Industrie und Handel.

Lobby-Vorlagen wörtlich im Parlamentsdokument

Sie alle haben mit eigenen Papieren versucht, Einfluss auf die endgültige Richtlinie zum EU-Datenschutz zu nehmen. Für die gibt es derzeit gleich mehrere Entwürfe: den Entwurf der EU-Kommission (nach der federführenden Kommissarin Viviane Reding auch Reding-Entwurf  genannt) sowie den alternativen Entwurf des Berichterstatters des Parlamentsausschusses für Justiz, Bürgerrechte und Inneres, des Grünen-Europaabgeordneten Jan Philipp Albrecht (der sogenannte Albrecht-Entwurf ).

Wie stark der konkrete Einfluss der Lobbyisten zuweilen ist, zeigt nun eine Internetplattform namens Lobbyplag : Sie dokumentiert in übersichtlicher Form, welche Abschnitte aus Papieren von Unternehmen und Lobby-Organisationen teils wörtlich in eine Stellungnahme des EU-Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz  eingeflossen sind - von Amazon bis zur Amerikanischen Kammer für den Handel mit der EU, vom europäischen Bankenverband EBF bis hin zum Verband der Kreditauskunfteien.

Einige Beispiele für Änderungsvorschläge im Sinne bestimmter Lobby-Gruppen:

  • Der Reding-Entwurf sieht vor, dass Firmen sich ein klares, ausdrückliches Ja als Zustimmung von Privatpersonen holen müssen, wenn sie deren Daten verarbeiten möchten. Dieses Prinzip will der Binnenmarktaussschuss des EU-Parlament aufweichen - ganz im Sinne der Lobbyisten von Amazon , Ebay  und den Banken , die entsprechende Formulierungen lieferten. Sie alle fordern, dass vom "Kontext" der konkreten Nutzung abhängig sein solle, was "ausdrücklich" bedeute. Und so steht es nun auch im Dokument des Binnenmarktausschusses: Die Zustimmung soll "je nach Kontext möglichst explizit erfolgen".

  • Firmen sind in vielen Situationen mächtiger als Privatpersonen, mit denen sie einen Vertrag schließen. Wenn zum Beispiel der Arbeitgeber von Angestellten oder Bewerbern Einblick in E-Mails und Zugang zu Facebook-Profilen verlangt, kann man das nicht so einfach ablehnen. Eine freiwillige Zustimmung ist also in Wahrheit nicht immer so ganz freiwillig. Der Reding-Entwurf nennt deshalb eine Zustimmung ungültig, wenn zwischen der Machtposition des Betroffenen und des Verarbeiters ein "erhebliches Ungleichgewicht" besteht. Den Absatz will der Binnenmarktausschuss streichen - genau so wie es Amazon  und Ebay  vorgeschlagen haben.
  • Der Binnenmarktausschuss will die Definition pseudonymisierter Daten aufweichen. Der Ausschuss schlägt vor: Alle Daten sollen als pseudonymisiert gelten, wenn eine Zuordnung zu konkreten Personen "mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten und Mühen verbunden wäre". Eine derart vage Einschränkung ist ein guter Ansatzpunkt, um eine Verordnung auszuhebeln. Je mehr Daten als pseudonymisiert gelten, umso seltener müssen Nutzer der Auswertung zustimmen. Die entsprechenden Neuformulierungen sind wörtlich aus Lobby-Dokumenten des Verbands EuroISPA  (Mitglieder sind unter anderem Facebook, Google, Amazon und Microsoft) sowie der US-Kammer für den Handel mit der EU  übernommen.

Die bei Lobbyplag markierten Passagen basieren auf Lobbyismus-Datenbanken, welche die Organisationen La Quadrature du Net (Frankreich) und die schwedische Piratenpartei zusammengetragen haben, sowie auf "anonymen Spenden", wie es auf der Webseite heißt.

Auch Bürgerrechtsorganisationen helfen bei der Formulierung

Die Auswertung ist etwas einseitig geraten: Zwar ist die Menge der wörtlichen Übernahmen aus Lobby-Papieren zumindest für Laien schockierend - unklar aber bleibt, ob nicht auch aus anderen Quellen Textpassagen übernommen wurden, etwa aus den Papieren von Bürgerrechtsorganisationen.

Auch die Vorschläge solcher Interessensgruppen sind durchaus in Entwürfen und Stellungnahmen der EU-Parlamentarier vertreten. Der Albrecht-Entwurf beispielsweise enthalte eine überproportionale Häufung von Änderungsanträgen, die samt und sonders aus der gleichen Quelle stammen, sagt der FDP-Europaabgeordnete Alexander Alvaro. Die Bürgerrechtsorganisation "Bits of Freedom" sei für "etwa zehn Prozent" der Änderungsanträge im Albrecht-Entwurf verantwortlich. Selbst Alvaro findet allerdings, dass die Bits-of-Freedom-Vorschläge "inhaltlich oft in die richtige Richtung" gehen. Und die von Alvaro dokumentierten Passagen sind in der Regel keine Eins-zu-eins-Übernahmen, wie sie Lobbyplag bei den Wünschen der Wirtschaftslobbyisten dokumentiert hat.

Programmiert wurde die Seite Lobbyplag von Marco Maas von Open Data City, einem auf Datenjournalismus spezialisierten Unternehmen, mitgearbeitet haben auch der Journalist Richard Gutjahr  und Max Schrems , ein österreichischer Student, der mit Aktionen für mehr Datenschutz bei Facebook  für Aufsehen gesorgt hat. Die Initiatoren bitten um Mithilfe, wollen mit der Unterstützung der Internetnutzer das Angebot erweitern und weiter differenzieren. Maas kündigte auf Anfrage an, dass weitere Lobby-Dokumente ausgewertet werden, zudem wolle man die Website um Funktionen zum gemeinsamen Sichten, Markieren und Ergänzen durch Freiwillige erweitern.

Einflussnahme von außen auf Gesetzgebungsvorgänge ist nicht per se schlecht, sie gehört zum Wesen der Demokratie. Nur findet sie oft auf extrem intransparente Weise statt. Darstellungen wie das Lobbyplag-Projekt machen auch Laien deutlich, wie solche Prozesse tatsächlich ablaufen. Mehr Transparenz dieser Art kann Europa nur nützen.